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Mittelkürzungen erschweren Jobcenter die Arbeit

Die für das Kommunale Jobcenter „Neue Wege Kreis Bergstraße“ zuständige Dezernentin Diana Stolz übt Kritik am Kurs der Bundesregierung


Die Erste Kreisbeigeordnete und zuständige Dezernentin Diana Stolz (links), die Leiterin des Eigenbetriebes Neue Wege Kreis Bergstraße – Kommunales Jobcenter – Dr. Melanie Marysko und der stellvertretende Eigenbetriebsleiter Peter Schmiedel (nicht im Bild) stellten die Jahresbilanz des Jobcenters für 2022 vor.

 

Kreis Bergstraße (kb). Das Jahr 2022 war für den Eigenbetrieb Neue Wege Kreis Bergstraße – Kommunales Jobcenter – ein Jahr voller Herausforderungen. Am 01. Juni 2022 trat der sogenannte Rechtskreiswechsel in Kraft, damit kamen innerhalb von drei Monaten knapp 2.000 Geflüchtete aus der Ukraine in den Rechtskreis Sozialgesetzbuch (SGB) II und damit in den Zuständigkeitsbereich des Kommunalen Jobcenters hinzu. Im Verlauf des Jahres 2022 mussten zudem bereits umfangreiche Vorbereitungen und Umstellungen für die Einführung des Bürgergeldes am 01. Januar 2023 getroffen werden.

Die Herausforderungen hat das Kommunale Jobcenter mit großem Einsatz und hohem Aufwand gut bewältigen können. „Ich bin allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr dankbar für ihr Engagement, nicht nur beim Meistern dieser beiden großen Aufgaben, sondern auch bei der täglichen Arbeit, die eine sehr wertvolle für unsere Gesellschaft ist“, sagte die Erste Kreisbeigeordnete und zuständige Dezernentin Diana Stolz.

Mit dem Rechtskreiswechsel der Geflüchteten aus der Ukraine ging auch ein Anstieg der Bedarfsgemeinschaften und der Arbeitslosen im Kreis nach SGB II einher. So stieg die Zahl der Bedarfsgemeinschaften von Dezember 2021 bis Dezember 2022 von 6.427 auf 6.988, die Zahl der Arbeitslosen nach SGB II von 2.601 auf 3.840. Die Summe der ausgezahlten Regelleistungen stieg um rund 2,8 Millionen Euro auf 58.925.048 Euro. Die Kosten der Unterkunft, die das Jobcenter übernahm, stiegen ebenfalls – um rund 2,6 Millionen Euro auf 39.869.544 Euro.

Und die Herausforderungen werden nicht weniger. Denn für das kommende Jahr 2024 hat die Bundesregierung erneut eine Kürzung beim Eingliederungstitel angekündigt, dem Kreis Bergstraße stünden damit weniger Mittel zur Verfügung, um vor allem Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integrieren zu können – bei einer deutlich gestiegenen Anzahl von Bedarfsgemeinschaften.

Bei der Ersten Kreisbeigeordneten stößt das auf völliges Unverständnis: „Das Bürgergeld ist eine Mogelpackung. Die Bundesregierung verspricht, damit für mehr Qualifizierung der Kundinnen und Kunden unseres Jobcenters zu sorgen, kann das aber nicht halten, weil sie gleichzeitig die Mittel dafür kürzt. Dabei laufen die Maßnahmen zur Eingliederung bei uns im Kreis, auch dank sehr engagierter Arbeitgeber, sehr gut. Es ist bitter, wenn wir solche funktionierenden Maßnahmen aufgrund der Kürzungen zurückschrauben müssen“, so Diana Stolz.

Positiv ist dagegen die fortschreitende Digitalisierung des Eigenbetriebes Neue Wege. Der Umstellungsprozess ist 2022 weiter vorangeschritten. Unter der Marke NWdigital bietet Neue Wege eine ganze Reihe digitaler Dienstleistungen für die Kunden an. Darunter fallen etwa die Möglichkeit, Hauptanträge SGB II und Weiterbewilligungsanträge online zu stellen, die Beratung per Videocall, die Möglichkeit der Nutzung des Online-Dokumentenportals und das 2022 gestartete Projekt „Smartdoc“. Bei diesem werden Schreiben des Jobcenters mit mehrsprachigen Erklärvideos verbunden. Verfügbar sind diese in Deutsch, Ukrainisch, Englisch, Arabisch und Tigrinya.

Erstes Fazit zum Bürgergeld fällt gemischt aus

Die Erste Kreisbeigeordnete Diana Stolz und die Betriebsleitung des Kommunalen Jobcenters Neue Wege des Kreises Bergstraße ziehen vorläufige Bilanz

Die Erste Kreisbeigeordnete Diana Stolz (Mitte) zog gemeinsam mit der Leiterin des Eigenbetriebes „Neue Wege – Kommunales Jobcenter“ Dr. Melanie Marysko (re.) und dem stellvertretenden Betriebsleiter Peter Schmiedel (li.) eine vorläufige Bilanz zum Bürgergeld.

Kreis Bergstraße (kb). Durch das so genannte Bürgergeld, wie die Leistungen nach dem SBG II nun heißen, haben sich auch für die  Arbeit des kommunalen Jobcenters „Neue Wege“ des Kreises Bergstraße Veränderungen ergeben. Dies auch deshalb, weil die Bundesregierung die Mittel für Eingliederungsmaßnahmen stark gekürzt hat. Hier stehen dem Kreis nun knapp 700.000 Euro weniger für das Jahr 2023 zur Verfügung, während die Zahl der Bedarfsgemeinschaften stark gestiegen ist. Dies ist für die für den Eigenbetrieb „Neue Wege Kreis Bergstraße – Kommunales Jobcenter“ zuständige Dezernentin Diana Stolz völlig unverständlich. „Auf der einen Seite will man beim Bürgergeld mehr Wert auf Qualifizierung legen, auf der anderen Seite kürzt man die Mittel dafür. Das ist widersprüchlich“, so die Erste Kreisbeigeordnete. Die erste Bilanz fällt daher auch zwiespältig aus. „Einen Teil der Neuerungen, wie die Möglichkeiten Langzeitarbeitslose an den Arbeitsmarkt heranzuführen und das Coaching begrüßen wir. Solche Maßnahmen, haben wir teils bereits seit längerem in unserem Portfolio und es ist gut, wenn diese nun überall genutzt werden“.

Andere Veränderungen sehen Stolz sowie die Leitung des Eigenbetriebes „Neue Wege“, Leiterin Dr. Melanie Marysko und der stellvertretende Leiter Peter Schmiedel, kritischer. Dazu zählt die Abschaffung des Vermittlungsvorranges. Mit Einführung des Bürgergeldes ist die Vermittlung in Arbeit nicht mehr vorrangig zu betrachten, sondern Weiterbildung und Qualifikation treten in den Mittelpunkt. „Wir vertreten die Auffassung, dass die Vermittlung weiterhin eine wichtige Rolle spielen muss, denn für eine Integration in die Gesellschaft ist das Ausüben einer beruflichen Tätigkeit von großer Bedeutung. Für viele unserer Kundinnen und Kunden kommt auch aufgrund der mitgebrachten Voraussetzung eine Qualifikation nicht in Betracht. Vielmehr geht es in diesen Fällen um die Aktivierung und die Heranführung an den Arbeitsmarkt“, so Dr. Marysko.

Die Umstellung auf das Bürgergeld bindet zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen des Kommunalen Jobcenters. Bereits der Übergang der geflüchteten Menschen aus der Ukraine in den Bürgergeldbezug hat das Arbeitspensum der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enorm erhöht. Die Fallzahlen (Anzahl der Bedarfsgemeinschaften) bei Neue Wege sind im Januar 2023 im Vergleich zum Vorjahr um knapp 30 Prozent gestiegen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung aber auch die Mittel für das Personal bislang nicht erhöht.

Das Kommunale Jobcenter rechnet damit, dass durch die ab 01.07. vorgesehene Erhöhung von Freibeträgen bei den unter 25-Jährigen die Motivation steigen wird, eine Ausbildung zu beginnen. Gleichzeitig rechnet man aber auch hier durch die Änderung mit einem weiteren Zuwachs an Kundinnen und Kunden. Denn durch die Erhöhung der Ausbildungsfreibeträge müssen die Auszubildenden einen deutlich kleineren Teil ihres Einkommens für ihre jeweilige Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung stellen, dieser Teil wird durch das Bürgergeld aufgefangen. Dies könnte dafür sorgen, dass zusätzliche Bedarfsgemeinschaften künftig einen Anspruch auf Bürgergeld haben.

„Ich bin allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jobcenters sehr dankbar für ihren Einsatz für Arbeitsuchenden im Kreis. Ich habe unser Jobcenter immer als eines erlebt, dass die Menschen in den Mittelpunkt stellt und Hilfe zur Selbsthilfe gibt. Daher fand ich manche Debattenbeiträge im Vorfeld der Einführung des Bürgergeldes, in denen der Eindruck erweckt wurde, Jobcenter würden die Menschen drangsalieren, sehr befremdlich. Diese Diskussion hätte differenzierter geführt werden müssen“, so die Erste Kreisbeigeordnete Diana Stolz. Die Möglichkeit weiter Leistungskürzungen als Sanktion in bestimmten Fällen vornehmen zu können, begrüßt die Dezernentin: „Wir haben in unserem Jobcenter schon immer einen sehr sparsamen Umgang bei der Verhängung von Sanktionen gepflegt. Das sollte nicht leichtfertig ausgesprochen werden. Unsere Sanktionsquote lag zuletzt weit unter 0,5 Prozent. Trotzdem ist es für die Motivation eines kleinen Prozentsatzes der Kundinnen und Kunden wichtig, dass alleine die Möglichkeit bestehen bleibt, dieses Instrument anzuwenden.“

Im März waren im Landkreis Bergstraße 6.152 Personen arbeitslos gemeldet. Im Vergleich zum Vormonat ist die Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen damit gefallen (Februar 2023: 6.185). Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg die Arbeitslosenzahl um 33 Prozent. Die Arbeitslosenquote bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen lag bei 4,2 Prozent. Zum Vergleich: Für Hessen insgesamt liegt die Arbeitslosenquote aktuell bei 5,2 Prozent, deutschlandweit bei 5,7 Prozent.

 

Paradigmenwechsel Bürgergeld: KJC-Philosophie setzt sich durch

Die Einführung des Bürgergeld-Gesetzes zum 01. Januar 2023 stellt die gravierendste Reform des deutschen Sozialstaats seit 2005 dar. Seit der Vorstellung der wesentlichen Eckpunkte des Bürgergeld-Gesetzes im Juli 2022 beschäftigen sich die hessischen Kommunalen Jobcenter (KJC) intensiv damit, wie sie die Reform umsetzen.

Einerseits bedarf es für die grundlegende Arbeitsweise und Haltung der KJC keines Umdenkens. Der Fokus auf Qualifizierungen, Integration und Beratung auf Augenhöhe entspricht von Anfang an den Anforderungen der hessischen KJC.

Andererseits müssen die KJC die Mitarbeitenden schnell auf die komplexen rechtlichen Veränderungen schulen. Im Hintergrund gilt es zahlreiche technische und organisatorische Anpassungen vorzunehmen.

Kommunale Finanzierung unzureichend

Das Bürgergeld bindet erhebliche zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen. Denn die Prognosen deuten auf eine signifikante Steigerung der Fallzahlen hin. Zur Umsetzung benötigen die KJC entsprechend mehr Personal. Bislang verwehrt der Bund die dafür notwendigen Mittel. Im Gegenteil stehen für 2023 bislang sogar erhebliche Kürzungen bei den Bundesmitteln bevor.

Zusätzlich zum Rechtskreiswechsel der geflüchteten Menschen aus der Ukraine zum 01. Juni 2022, was eine enorme Steigerung des Arbeitspensums bei Neue Wege Kreis Bergstraße -Kommunales Jobcenter- bedeutete, wurde dennoch zeitgleich damit begonnen, sich mit dem Thema Bürgergeld zu beschäftigen. Die Mitarbeitenden besuchten u.a. Seminare zur ressourcen- und zukunftsorientierten Beratungskompetenz im Fallmanagement und werden zum Jahresanfang 2023 noch in sämtlichen Änderungen geschult, welche das 12. Änderungsgesetz konkret beinhaltet.

Sowohl die Erste Kreisbeigeordnete Diana Stolz als auch die Betriebsleitung von Neue Wege stehen dem ganzen Vorhaben „Bürgergeld“ verhalten gegenüber. „Wir bewerten es als ungünstig, dass das Ziel der vorrangigen Vermittlung in den Arbeitsmarkt nicht mehr prioritär gesehen wird“, so Stolz. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeige, wie wichtig eine möglichst schnelle Vermittlung in Arbeit sei. Eine Qualifizierung sollte sich an den tatsächlich gebotenen Erfordernissen orientieren. Weiter sei abzuwarten, wie sich wesentliche Änderungen beim Einkommen im SGB II, wesentliche Änderungen beim Vermögen im SGB II, Potenzialanalyse und Kooperationsplan, Bürgergeldbonus, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und Regelungen zu Pflichtverletzungen und Meldeversäumnisse auf die Gesamtsituation auswirken werden.

Hinzu kommt, dass der Bund das Budget für die Eingliederungsleistungen reduziert. Es stehen im kommenden Jahr rund 1 Mio. Euro weniger zur Verfügung – weniger Mittel für Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit, aber auch weniger Finanzierungskapazität für die angedachte Weiterbildung und Qualifizierung der Kundinnen und Kunden. „So sehr eine Erhöhung der Leistungen zum Lebensunterhalt nachvollziehbar ist, unter anderem angesichts steigender Energiekosten – und auch wenn wir noch Verbesserungen erwarten, so sehr bedaure ich, dass uns weniger Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um Aktivierung, Weiterbildung und berufliche Eingliederung zu finanzieren“, erklärt Stolz. Hinzu käme, dass der Fachkräftemangel auch vor der Kreisverwaltung und dem Jobcenter nicht Halt mache und es immer schwieriger werde, ausreichend personelle Ressourcen für die zu bewältigenden Aufgaben zur Verfügung zu haben.

Diese Schlaglichter der Flüchtlingskrise und der nun zeitlich knapp darauffolgenden Einführung des Bürgergeldes zeigen, vor welch großen Herausforderungen der Eigenbetrieb Neue Wege derzeit steht. Diana Stolz befindet sich deshalb in engem Austausch mit den relevanten Akteuren. „Ich möchte der Betriebsleitung und allen Beschäftigten des Eigenbetriebs meine Anerkennung aussprechen und vor allem auch danken für den Einsatz, den sie für die Hilfebedürftigen und Arbeitsuchenden in unserem Kreis leisten. Wir nehmen die Arbeit, die dort geleistet wird, wahr. Vielen Dank.“

Dies unterstreicht erneut das gemeinsame Credo #Stark.Sozial.VorOrt.

Im Dezember waren im Landkreis Bergstraße 5.939 Personen arbeitslos gemeldet. Im Vergleich zum Vormonat ist die Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen um 2,0 Prozent gesunken. Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg die Arbeitslosenzahl um 1.177 Personen (+24,7 Prozent). Die Arbeitslosenquote bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen lag bei 4,0 Prozent. Im Vorjahr waren es 3,2 Prozent.

Zum Vergleich: Für Hessen insgesamt liegt die Arbeitslosenquote aktuell bei 4,9 Prozent, deutschlandweit bei 5,4 Prozent.