Wieder gemeinsam an einem Strang ziehen

Ein Gespräch über die „Aufsuchende Hilfe“
Ingrid Weigold ist seit September 2009 Leiterin des kommunalen Jobcenters Bergstraße in Heppenheim. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermitteln und betreuen Menschen im Arbeitslosengeld II-Bezug aus den Gemeinden Bensheim, Einhausen, Heppenheim, Lautertal, Lorsch und Zwingenberg. Von rund 98.300 Einwohnern sind 1.290 Personen arbeitslos gemeldet und beziehen Leistungen nach dem SGB II – Hartz IV. Für Langzeitarbeitslose, die auf Grund multipler Problemlagen überlastet sind und ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen können, steht seit 2012 ein Unterstützungsangebot in Kooperation mit der Kombrecht-Engel-Schule zur Verfügung, die „Aufsuchende Hilfe“. Für ein Gespräch über die Entwicklung des Projekts trafen sich die Leiterin des kommunalen Jobcenters Bergstraße und Borislav Romakov, der seit Sommer 2013 betroffene Menschen des Jobcenters im Rahmen der Aufsuchenden Hilfe betreut. Neue Wege unterhielt sich mit den Beteiligten.

Neue Wege:

Was versteht man unter der Maßnahme Aufsuchende Hilfe? Wann kommen Sie
zum Einsatz?

Romakov:

Die Aufsuchende Hilfe unterstützt Personen im Arbeitslosengeld II-Bezug, die mit ihrer per-sönlichen Situation überfordert sind, sich zurückgezogen haben und aus den unterschied-lichsten Gründen den Kontakt zum kommunalen Jobcenter abgebrochen haben.
Ich sehe mich hierbei als Bindeglied zwischen dem Jobcenter und dem Leistungsempfänger und komme dann zum Einsatz, wenn die Kommunikation zwischen beiden nicht oder nicht mehr funktioniert. Als neutraler Dritter versuche ich gemeinsam mit dem Betroffenen die Ur-sache des Problems zu ergründen und ihn wieder zur Kommunikation mit dem zuständigen Mitarbeiter der Behörde zu bewegen.

Neue Wege:

Wie wird der Kontakt zum Betroffenen hergestellt?

Romakov:

Der erste Kontakt erfolgt in schriftlicher Form – wir stellen uns vor und bieten ein persönliches Gespräch an. Wichtig ist auch, uns in gewisser Weise vom Jobcenter abzugrenzen, als neutrale Person kenntlich zu machen, damit die Hilfe auch angenommen wird. Wie der Projektname schon sagt, suchen wir die Menschen in ihrem privaten Umfeld auf. Dies geschieht dann, wenn auf die schriftliche und die darauf folgende telefonische Kontaktaufnahme keine Reaktion erfolgt ist. Sobald wir eine gemeinsame Basis gefunden haben, kann der Kunde einen Treffpunkt für ein persönliches Kennenlernen vorschlagen. Oft ist das ein neutraler Ort, beispielsweise ein Cafe.

Neue Wege:

Warum ist die Aufsuchende Hilfe ein benötigtes Instrument?

Romakov:

Ohne die Aufsuchende Hilfe gäbe es keine Möglichkeit an Menschen, die die Zusammenar-beit mit dem Jobcenter nicht in Anspruch nehmen können oder wollen, in Kontakt zu treten. So können Problemlagen nicht erkannt werden. Das Aufsuchen im persönlichen Umfeld bringt diesen Personen Wertschätzung entgegen und schafft eine Vertrauensbasis, die Kunden fühlen sich sicher. Ängste und Scheu können im gewohnten Umfeld oft rasch abgebaut werden. Bei der Arbeit erhält man ein Gespür für Familiensituationen, was ein wesentlicher Vorteil für die Einschätzung der Problemlagen sein kann.

Weigold:

Unsere Fallmanager haben nicht die Gelegenheit sich so intensiv um die Belange der Leis-tungsbezieher zu kümmern und sie zu Hause aufsuchen. Auch unser Außendienst hat nur die Möglichkeit einer Momentaufnahme. Herr Romakov hingegen kann den Teilnehmer auf seinem Weg begleiten, bis er ohne ständige Unterstützung zurechtkommt.

Neue Wege:

Welche Hilfestellung können Sie genau bieten?

Romakov:

Ich unterstütze den Teilnehmer bei der Bewältigung seiner Probleme, vermittle ihn an andere Hilfsangebote oder Beratungsstellen beispielsweise an die Sucht- und Schuldnerberatung und bin jederzeit Ansprechpartner. Ebenso begleite ich ihn auf Wunsch auch beim Gang zu Behörden und Gesprächsterminen mit dem Fallmanager.

Weigold:

Durch Herrn Romakov wird die Behörde persönlich, erhält ein Gesicht. Es gibt jemanden, der sich persönlich mit den Problemen des Einzelnen auseinandersetzt und sich Zeit nimmt auch mal unter die Oberfläche zu schauen. Das können die Fallmanager in ihrem Arbeitsalltag nur bedingt leisten.

Neue Wege:

Was sind die häufigsten Gründe, warum der Kontakt zum Fallmanager abbricht?

Romakov:

Das Erkennen, dass man ein Problem hat ist oft nicht leicht. Häufig haben sich die Menschen mit ihrer Situation arrangiert und wollen nicht sehen, dass etwas nicht stimmt.
Zum großen Teil sind die Teilnehmer durch gesundheitliche Probleme körperlicher und
psychischer Art in ihrer Belastbarkeit eingeschränkt, befinden sich Drogenentzugsprogrammen oder in psychologischer Behandlung. Vielen fällt es schwer, Beziehungen einzugehen, regelmäßig zu pflegen und zu halten. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass diese Klienten Schwierigkeiten haben, einen regelmäßigen und konstruktiven Kontakt zum Fallmanager zu pflegen.

Weigold:

Individuelle Lebensgeschichten und multiple Vermittlungshemmnisse führen oft dazu, dass die Menschen irgendwann resignieren, formelle und soziale Kompetenzen verlernen.

Neue Wege:

Wie ist die Resonanz der Betroffenen? Welche Erfolge können Sie verzeichnen?

Romakov:

Für uns ist es schon ein Erfolg, wenn es gelingt, einen Erstkontakt zum Teilnehmer herzu-stellen und wenn dieser Kontakt im Rahmen von Folgeterminen ausgebaut werden kann. Wenn dann eine stabile Arbeitsbeziehung von Teilnehmer und Fallmanager entsteht und die Probleme durch eine Maßnahme wie beispielsweise eine Suchtberatung vermindert werden können, haben wir unser Ziel erreicht.

Weigold:

Es ist immer problematisch in die Privatsphäre eines Menschen einzudringen – da benötigt man viel Feingefühl und muss auch verstehen, dass es Menschen gibt, die die Hilfe nicht annehmen möchten. Zumeist ist es jedoch so, dass die Betroffenen das Angebot nach einer gewissen Bedenkzeit gerne nutzen. Die Tatsache, dass es eine Warteliste gibt, zeigt, dass dieses Förderinstrument sinnvoll und erforderlich ist.

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