1300 Langzeitarbeitslose über 50 Jahre schafften den Sprung in Arbeit

Brigitte Wecht, Projektleiterin „ProArbeit 50PLUS“ im Kreis Bergstraße, im Gespräch

Der demografische Wandel ist in vollem Gange und auch in der Arbeitswelt angekommen. In naher Zukunft werden die notwendigen Fachkräfte nicht mehr für alle Unternehmen und Branchen in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Trotzdem ist es für ältere Arbeitssuchende noch immer schwer, eine neue Anstellung zu finden. In der öffentlichen Meinung wird ein fortgeschrittenes Lebensalter oftmals mit einem Absinken der Leistungsfähigkeit verbunden. Dabei sind es überwiegend Menschen über 50 Jahre, die das aktuelle Geschehen in Wirtschaft und Politik weltweit prägen. Ältere sind nicht weniger, sondern anders leistungsfähig.

Um die Beschäftigungschancen älterer Langzeitarbeitsloser zu verbessern, wurde das Bundesprogramm „Perspektive 50plus“ ins Leben gerufen. Als regionaler Partner ist das Kommunale Jobcenter Neue Wege mit dem Projekt „ProArbeit 50PLUS“ Anlaufstelle im Kreis. Projektleiterin Brigitte Wecht berichtet über Umsetzung, Angebote und Ziele des Projekts.

Was ist das Bundesprogramms „Perspektive 50plus“?

Brigitte Wecht:

Das Bundesprogramm „Perspektive 50plus“ basiert auf einem regionalen Ansatz, der es den Projektpartnern erlaubt, bei der Wahl der Integrationsstrategie von älteren Langzeitarbeitslosen gezielt auf die regionalen Besonderheiten einzugehen. Es ermöglicht jedem Beschäftigungspakt eigenverantwortlich Vermittlungsideen zu entwickeln, Eingliederungsstrategien zu erproben sowie erfolgreiche Ansätze weiter auszubauen. Derzeit sind 477 Jobcenter und damit mehr als 98 Prozent aller Grundsicherungsstellen bundesweit am Programm beteiligt. Der Eigenbetrieb Neue Wege Kreis Bergstraße -Kommunales Jobcenter- nimmt seit 2009 am Bundesprogramm teil und hat dazu ein 14-köpfiges Team 50PLUS gegründet.

Welche Ziele verfolgt man mit dem Programm?

Brigitte Wecht:

Die Integrationschancen für Arbeitslosengeld II-Empfänger über 50 Jahre sollen verbessert werden. Die Konzentration speziell auf Menschen über 50 Jahre ermöglicht eine ganzheitliche Betreuung der Teilnehmer auf dem Weg in den Arbeitsmarkt. Wir setzen auf eine hohe Betreuungsintensität – unsere Fallmanager kümmern sich jeweils um rund 100 Kunden, was einen effizienten und zielgerichteten Maßnahmeneinsatz garantiert. Eine wichtige Aufgabe unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist vor allem auch die Ansprache der Arbeitgeber im Kreis in Kooperation mit unserem Arbeitgeberservice, um sie für das Potential älterer Arbeitsgeber zu sensibilisieren. Wir möchten das Einstellungsklima für Ältere in der Region weiter verbessern. Ältere müssen mehr Wertschätzung erfahren, sie bringen schließlich jahrelange Erfahrung und einen großen Wissensschatz mit, der für Unternehmen unerlässlich ist.

Wie wird das Programm im Kreis Bergstraße umgesetzt? Was sind die Besonderheiten dieser Zielgruppe?

Brigitte Wecht:

An jedem Jobcenter-Standort gibt es mindestens zwei 50PLUS-Fallmanager, die ältere Leistungsempfänger betreuen. Die Fallmanager laden neue Kunden zu einem ersten Gespräch in das jeweilige Jobcenter vor Ort ein. Gemeinsam wird der Wege zurück in Arbeit geplant. Auf diesem Weg sind oftmals mehrere Hindernisse wie beispielsweise Schulden- oder Suchtprobleme zu überwinden, bevor an eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt gedacht werden kann. Viele der Betroffenen haben sich aus der Gesellschaft zurückgezogen, Familien- und Freundesstrukturen sind zerbrochen. Allein die Bewältigung des Alltags und andere alltägliche Gänge – wie die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Einkaufen gehen – stellen oftmals ein Problem dar. Solche Probleme benötigen Monate um bewältigt zu werden. Erst wenn ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde, kann der Weg gemeinsam gemeistert werden. Durch kreative Projekte und gemeinschaftliche Aktivitäten fördern wir die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Betroffenen müssen Schritt für Schritt wieder an die Anforderungen und Strukturen der Arbeitswelt herangeführt werden. Ein Problem dieser Zielgruppe ist, dass diese Menschen oftmals nicht mobil sind. Dies stellt im Kreis Bergstraße, gerade in der Odenwaldregion ein Problem dar. Deshalb sind unsere Angebote flächendeckend im Kreis zu finden. Wenn eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Aussicht ist, ist es durchaus auch möglich, dass wir bspw. die Kosten für den Führerschein übernehmen. Jeder Kreis steht vor anderen Problemen, deshalb ist die Möglichkeit der individuellen regional Umsetzung des Programms wichtig. Das Problem der Mobilität ist in einer größeren Stadt mit Straßenbahnnetz beispielsweise nicht gegeben.

Welche Angebote gibt es speziell für ältere Arbeitslose?

Brigitte Wecht:

Potentiale erkennen, Perspektiven entwickeln, auf die Gesundheit achten, optimal auf das Bewerbungsverfahren vorbereiten – die berufliche Neuausrichtung und Vermittlung von über 50-jährigen in den ersten Arbeitsmarkt steht bei unserer Maßnahme „50PLUS in Fahrt“ im Vordergrund. Das Programm wird an den Standorten Heppenheim, Viernheim, Mörlenbach und Bürstadt durchgeführt. Unsere Erfahrungen zeigen, dass vor allem Gruppenveranstaltungen sehr gut wahrgenommen werden. Mit anderen gemeinsam den Weg in Arbeit zu beschreiten und wieder unter anderen Menschen zu sein ist für viele der erste Schritt zurück in ein normales Leben. Des Weiteren gibt es Integrationscenter für Ältere in Bürstadt und Viernheim. Über vier Monate hinweg erarbeiten die Teilnehmer mit ihren Coaches einen Integrationsplan für ihre Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt. Die Optimierung der Bewerbungsunterlagen, die Verbesserung der Selbstpräsentation und die Stärkung der Motivation und der Bewerbungskompetenzen sind wichtige Bestandteile des Projekts. Ein Praktikumsplatz im Rahmen der Maßnahme bietet die Möglichkeit die betrieblichen Strukturen im gewünschten Arbeitsgebiet kennen zu lernen. Eine technisch und lebenspraktisch orientierte Qualifikationsmaßnahme ist „NEUSTART 50PLUS“ in Fürth-Ellenbach. Hier kann ein IHK Zertifikat im Bereich Möbel-, Küchen-, und Umzugsservice oder Lagerlogistik erworben werden. Ein wichtiger Bestandteil der Maßnahme ist die Förderung von Alltagskompetenzen, die eine Voraussetzung für eine erfolgreiche (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt darstellen. Dazu gehören neben dem Thema Gesundheit u.a. eine persönliche Standortbestimmung. Im Rahmen der Projektwerkstatt liegt ein Schwerpunkt auf der Erschließung eines Netzwerkes und der erfolgreichen Vermarktung der eigenen Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt. Hier besteht unter anderem die Möglichkeit neue Arbeitsfelder kennen zu lernen und je nach Voraussetzung die eigenen Qualitäten bei einem potentiellen Arbeitgeber unter Beweis zu stellen und im Idealfall eine neue Anstellung zu erhalten. Die fachlich-technische Ausbildung findet überwiegend innerhalb von Projekten statt. Eine weitere Grundlage der Qualifikation ist der theoretische Unterricht. Am Ende des Unterrichts steht die theoretische und praktische Prüfung. Einmal wöchentlich öffnet unser „B-Treff“ in Heppenheim seine Türen – hier können sich Arbeitssuchende austauschen, Bewerbungsunterlagen erstellen und ausdrucken. Ein Coach steht für alle Fragen rund um das Thema Bewerbung zur Verfügung.
Wir werden auch mit einem Stand und einem Jobmobil auf dem Hessentag in Bensheim vertreten sein. Interessierte können sich dort über unser Projekt informieren und Stellenanzeigen sichten.

Wo liegen die Probleme auf Unternehmerseite? Warum scheuen sich Firmen oftmals ältere Arbeitslose einzustellen?

Brigitte Wecht:

Wir haben mit den Arbeitgebern im Kreis Bergstraße überwiegend sehr gute Erfahrungen im Bezug auf die Einstellung älterer Arbeitnehmer gemacht. Unternehmen denken inzwischen um und setzen vermehrt auf Ältere über 50 Jahre. Die ältere Generation hat eine hohe soziale Kompetenz und Erfahrung im Umgang mit Menschen. Mitarbeiter ab 50 Jahren verfügen über Erfahrung, langjährig gepflegte Netzwerke, Disziplin und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – Eigenschaften, die den jüngeren Arbeitnehmern hin und wieder noch fehlen. Ihre Lernbereitschaft, Flexibilität und die Fähigkeit, mit modernen IT- und Kommunikationsmedien umzugehen, sind oftmals viel stärker ausgeprägt als allgemein angenommen. Auch das Vorurteil, dass mit zunehmendem Alter die krankheitsbedingten Fehlzeiten steigen, wurde inzwischen statistisch widerlegt. Ältere Arbeitnehmer sind auch für die Zusammensetzung der Teams wichtig. Teams sind erst dann erfolgreich, wenn sie aus unterschiedlichen Persönlichkeiten und Altersklassen zusammengesetzt sind. Das gilt auch für den Kontakt nach außen, zu Kunden und Geschäftspartnern: Ein älterer Bankkunde fühlt sich beispielsweise von einem älteren Berater besser verstanden als von jemandem, der 30 oder 40 Jahre jünger ist als er. Ganz ähnlich ist die Situation in vielen anderen Beratungs- und Dienstleistungsbereichen. Es gibt allerdings noch immer zurückhaltende Arbeitgeber, die wir von den besonderen Stärken der Älteren überzeugen möchten. Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stehen deshalb in regelmäßigem Kontakt zu ortsansässigen Firmen und bieten professionelle und kostenfreie Hilfe bei der Stellenbesetzung an – so können die Unternehmen Zeit und Kosten sparen. Arbeitgeber haben zudem die Möglichkeit einen Lohnkostenzuschuss oder eine spezielle Förderung für behinderte Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen.

Welche Erfolge können Sie verzeichnen?
Brigitte Wecht:

Seit Beginn des Programms haben 2206 Personen an unserem Projekt teilgenommen und verschiedene Aktivierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen durchlaufen. Es konnten 1000 Personen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen vermittelt werden, das ist ein tolles Ergebnis. Weitere 300 Personen fassen derzeit auf dem Arbeitsmarkt als Mini-Jobber Fuß, die restlichen Personen nehmen momentan an Förderprojekten teil oder durchlaufen die Erwerbsfähigkeitsprüfung.

Ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Rückkehr in den Arbeitsmarkt ist ein von uns betreuter Mittfünfziger, der als Selbstständiger in der Finanzbranche tätig war. Der berufliche Absturz erfolgte durch die Finanzkrise, es folgten die Scheidung und der verschuldete Fall in Hartz IV. Wir unterstützten ihn auf seinem Weg in die Privatinsolvenz und zeigten Möglichkeiten auf, wie er in seinen ursprünglichen Beruf zurückfinden kann. Er hat die Rückkehr in die Finanzbranche geschafft, befindet sich nun in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis und benötigt keine Leistungen mehr. Als „Sicherheitsnetz“ qualifiziert er sich berufsbegleitend weiter – so hat er auch im Falle des Scheiterns des jetzigen Arbeitsverhältnisses ein weiteres, berufliches Standbein. Der Arbeitgeber konnte von uns motiviert werden, hierfür auch die Kosten zu übernehmen.

Einer 57-jährigen Kundin finanzierten wir eine einjährige Qualifizierung zur Altenpflegehelferin, nachdem sie schon viele Jahre arbeitslos war bzw. in Minijobs oder in der Zeitarbeit arbeitete. Aufgrund intensiver Gespräche mit der Kundin, durch Abtasten der Interessenlage und Beobachtung des Arbeitsmarktes haben wir die Entscheidung zur Qualifizierung gemeinsam mit der Teilnehmerin getroffen. Obwohl eine Anzahl persönlicher Probleme vorlagen, hat die Kundin die Fortbildung gemeistert und ihr Zertifikat mit sehr guter Benotung erhalten. Solche positiven Beispiele motivieren uns ungemein bei unserer Arbeit und zeigen, dass wir im Kreis Bergstraße auf dem richtigen Weg sind.

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